Margarete Hohner

Wunder geschehen

7.04.2017 21:59 2 Kommentare

Gestern Nachmittag – im Altenheim – sagte Frau L. zu mir :
“Margarete, ich hab so einen Seelenkummer.“
Margarete hätte früher tausende Sätze gefunden um sie vom Gegenteil überzeugen zu können.

Alten Menschen kannst, brauchst du nix vorgaukeln, schön- oder ausreden. Sie sind unter deren scheinbaren Hilflosigkeit unendlich weise und riechen deine Seelenhaltung, genau wie Kinder.

Sagte ich zu ihr: „ja, ich kann mir das gut vorstellen“, und fragte sie später, ob sie ein wenig mit mir raus in die frische Luft gehen wolle, was sie lächelnd bejahte.
Bis sie ihre Jacke und Schuhe fand, anzog, Schlüssel, Tuch, Rollator bei sich hatte – während sie immer wieder über ihre Verwirrtheit lachte – verging ca. eine Stunde.

Wir gingen hinaus. Rund um die Häuser, zu den Bäumen und Sträuchern, die gerade so schön blühen, dort trafen wir Herrn H. – ebenfalls Heimbewohner – der uns die Blüten und Pflanzen erklärte.
Wir drei saßen auf einer Bank und ließen uns die Sonne ins Gesicht scheinen.
Der Wind blies Wolken über den Himmel und Frau L. und ich beobachteten das Wechselspiel zwischen Sonne und Wolken und fanden so einige Figuren im Himmel. Sie hat das als Kind immer so gerne gemacht, sagt sie. Ich ebenso.

Frau F. ist 94 Jahre alt. Sie hatte ein gutes Leben sagt sie immer. Doch, jetzt macht es ihr keine Freude mehr, da sie meint, nichts mehr tun und geben zu können.
Sie würde so gerne wenigstens den Boden in ihrem Zimmer selber wischen dürfen, doch das wird nicht erlaubt, da die Gefahr dass sie stürzt zu groß wäre.
Ihr Wünsche sind alle so einfach, so für uns selbstverständliche. Alle mit der Bitte, einen Sinn im Leben zu haben.
Die jetzigen alten Menschen haben sich immer über Leistung definiert, ohne Leistung bist du eine Last, sagen sie.

Wir gingen langsam weiter.
Zwei junge Frauen und ein kleiner Junge kamen uns entgegen. Der kleine Bub winkte uns und schickte Frau L. immer Kusshand während wir – uns freundlich grüßend – aneinander vorbeigingen, dann doch stehen blieben. Der kleine Junge lief einige Schritte und sah immer Frau L. an und winkte ihr.

Plötzlich ließ Frau L. den Rollator los und lief ihm regelrecht nach. Nicht eine Sekunde machte ich mir Sorgen, dass sie fallen könnte oder zu schwach dafür wäre, ich war in diesem Moment sowas von berührt.

Sie stand da bei dem Jungen, zwischen den beiden war etwas wie Magie, es war diese Liebe, von der ich so gerne erzähle. Dieses „zwischenunsding“ das wir ab nach unserer Kindheit mit komischen Ziehen und Zerren verwechseln.

Dann gaben sich der Junge und Frau L. die Hand, schickten sich Kusshand und Frau L. kam wieder zu mir, die am Rollator dies alles beobachten durfte.
Was für ein Geschenk.

Abends dann, beim Verabschieden sagte sie, „Das war so wunderschön heute.“
Ja, das war es. WUNDERschön. Danke

2 Kommentare

Martina
8.04.2017 10:14

Liebe Margarete, was für schöne Geschenke ihr euch doch gegenseitig gemacht habt. Fühl dich liebevoll umarmt. ❤von mir Martina

Helga
8.04.2017 12:31

Liebe Margarete, beim Lesen Deiner Zeilen wurde mir klar was eine Hauptarmut in unserer Zeit ist. Es ist die Hektik , in der kein Raum und Platz für das WUNDER MENSCHSEIN mehr ist. Mit lieben Grüßen Helga

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