Margarete Hohner

Schwesternbrief an Amadea vom 7.12.2019

7.12.2019 20:41 keine Kommentare

🌹SCHWESTERNBRIEFE
07.12.2019

„Keine Kraft mehr zu haben, ist auch eine Kraft“.

Liebste Amadea,
Diesen Satz habe ich gestern bei einer Urnenverabschiedung gehört, bei der wir getrommelt haben. Und der Satz hat mich sehr berührt. Die ganze Feier war zutiefst berührend.

Als wir den Raum verließen und ins Freie gingen, war es draußen total düster und am Himmel flogen viele schwarze Raben. Das Lied, das beim Rausgehen gespielt wurde, war von Ludwig Hirsch: Komm großer schwarzer Vogel.
Es war mystisch schön und für uns Trommler ist es immer eine besondere Ehre, mit ein kleiner Teil so einer Feier sein zu dürfen.

Die Teilnahme an Begräbnissen macht mich immer ganz demütig dem Leben gegenüber, es erinnert mich immer wieder an meine Endlichkeit hier auf Erden.

Danach fuhr ich dankbar nach Hause, in dem Wissen, dass mein Mann noch da ist.
Wie muss es sein, dass es neben dir nach vielen gemeinsam Jahren plötzlich ganz still ist?

Und doch kann auch ich keine einzige gemeinsame Minute aufheben, in die Konserve packen und nach Belieben immer wieder öffnen.
Vorbei ist vorbei.
Ich kann jedoch so intensiv bzw.bewusst erleben, dass es in den Zellen gespeichert wird und auch dann (hoffentlich)abrufbereit und Trost spendend ist, wenn es später einmal live nicht mehr möglich ist.

All das Schöne, dass wir bei den Begräbnissen immer unseren Lieben hintennach- sagen und danken schon zu Lebzeiten sagen, das möchte ich.

Ich schenke heuer meinen Lieben einen Brief zu Weihnachten. Habe schon extra Papier dafür gekauft. Freue mich auf diesen feierlichen Akt, sie mit der Hand zu schreiben, meine Liebe zu Ihnen zu Papier zu bringen. Jetzt, wo wir alle noch hier leben.

Dieser Satz, dass keine Kraft mehr zu haben auch eine Kraft ist, hat mich wohl deswegen so sehr berührt, weil ich mich in den letzten Monaten sehr schwach gefühlt habe. Schwach in dem Sinn, ich kann und mag das Alles nicht mehr so weitermachen.

Und dann kam die Frage „wer bin ich denn, wenn ich das Alles nicht mehr mache?“

Sind wir das, was wir so fleißig tun?

Mit vielen habe ich ja einfach aufgehört.

Und jetzt bin ich in einer komplett für mich neuen Situation, dass ich mehr Zeit habe, dass ich mehr Ruhe habe und wirklich intensiver in das eintauchen kann was gerade ist.
Bisher habe ich immer 3 Dinge zugleich getan. So einen langen Text zu lesen zB – wie ich ihn hier heute schreibe – hätte mir schon zuviel Zeit gekostet.
Heute jedoch lese ich in Ruhe auch gerne den lange Texte ohne innerlichen Drang, dass etwas anderes schon wieder getan gehört.

Ich hab grad die Zeit, dem Leben intensiver lauschen zu können.
Mir beim Atmen zusehen zu können.
Schritte beim Gehen hören zu können, ohne dass tausend Gedanken drüberschreien.
Mehr und mehr tauche ich in diese ruhige Kraft des Lebens ein.

Ich würde es allen Menschen wünschen, diese Kraft spüren zu können. Fernab von Leistung, einfach nur sich selbst satt und tief wahrzunehmen mitten in diesem Trubel.

Heuer genieße ich die Adventszeit anders. Eben aus genau diesen Gründen.
Und weißt du was, liebste Amadea?
Es kommen wieder diese Glückseligkeitsmomente.
So lange waren diese in meiner Getriebenheit mehr und mehr verschwunden, ganz schleichend passierte das.
Bis es mir auffiel.

Das war auch der Punkt wo ich dann Vieles änderte.
Zu Leben ohne Glückseligkeit ist nicht das Leben das ich möchte.

Sie war komplett verschwunden aus meinen Tagen.
Ich spürte nichts mehr. Außer Schwere.

Und nun kommen sie wieder. Diese Wellen. Im Herzraum spürt es sich dabei ganz offen an. Sie erfassen mich plötzlich, ich kann sie nicht steuern, halten oder selbst erzeugen – und wenn sie da sind – dann nehmen sie mich ganz tief. Mir triebt es dann jedesmal die Tränen in die Augen. Das ist dann für meine Umgebung oft irritierend, doch ich sage dann, ich weine vor Glück.

Das letzte Mal als mir das passierte, war beim Erhalt deines Paketes. Ich hab dir ja sofort davon erzählt.
Ja, du hast mir so eine tiefe Glückseligkeit geschenkt. Und sie dauert immer noch an. Leise blüht sie in mir drinnen. Schenkt mir ein dankbares Lächeln.

Immer noch habe ich „dich“ bei mir in der Küche. Deine vielen liebevollen selbstgemachten Dinge schmücken den Küchentisch und machen ihn zu einen Festtagstisch. Ich bin sowas von verzaubert. So viele Liebe. So viel Zeit die du da investiert hast.

Das Buch habe ich noch nicht geöffnet. Dafür nehme ich mir ganz extra Raum und Zeit dafür.

Dieses Geschenk, Zeit intensiv leben zu dürfen, intensiv im Sinne von DA-Sein, ruhig und still ohne „dann mache ich noch….“ kam und kommt zu mir, zu einer Zeit wo ich dachte ich habe keine Kraft mehr und es schenkt mir so eine tiefe Kraft.

Es schenkt mir kein Wissen, keine Lösungen, sondern einfach nur Kraft. So, als ob Gott durch auch mich wieder atmen darf.
Eine Kraft, der ich zutiefst vertraue.
Die alle Lösungen und Wissen beinhaltet, das von Nöten ist.

Danke, liebste Amadea Ehi, dir in diesem Leben begegnet zu sein.

In Liebe, Deine Margarete

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